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Tessiner Votum über Burkaverbot könnte Geschichte schreiben

Von Gerhard Lob. Aktualisiert um 09:33

Das Tessin entscheidet am 22. September als erster Kanton über ein Verbot der Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit. Es dürfte angenommen werden.

 

Kaum eine Tessinerin oder ein Tessiner hat im eigenen Kanton bisher vollverschleierte Frauen gesehen. Und doch wird sich das Tessin voraussichtlich als erster Kanton ein Verhüllungsverbot nach französischem Vorbild in die kantonale Verfassung schreiben. Politische Beobachter gehen davon aus, dass am 22. September eine Mehrheit der Stimmberechtigten einem solchen Verbot zustimmen wird.

Dann kommt eine Volksinitiative an die Urne, welche in einem neuen Artikel der Kantonsverfassung verankern will, «dass niemand in den öffentlichen Strassen und Plätzen das eigene Gesicht verschleiern oder verbergen kann». Die Formulierung ist allgemein gewählt, doch in der Sache geht es um vollverschleierte Musliminnen. Betroffen von einer solchen Regelung wären Ganzgesichtsverhüllungen wie bei Burka oder Nikab, nicht aber das Kopftuch.

Die Initiative wurde im März 2011 mit 11'767 gültigen Unterschriften eingereicht. Initiant war der politische Einzelkämpfe r und ehemalige Journalist Giorgio Ghiringhelli aus Losone, der schon in anderen Fällen bewiesen hat, dass er durchaus die Volksmehrheit hinter sich zu scharen weiss. Seine Minibewegung «Il guastafeste» (Spielverderber) hat ihrem Namen jedenfalls schon alle Ehre gemacht. Bei der Anti-Burka-Initiative gelang es Ghiringhelli zudem, bekannte Persönlichkeiten wie die ehemalige rechtsfreisinnige FDP-Staatsrätin Marina Masoni oder die ehemalige SP-Grossrätin Iris Canonica ins Boot der Promotoren zu holen. Für Ghiringhelli hat die Initiative «vorbeugenden Charakter». Denn auch er weiss, dass im Südkanton keine französischen Zustände herrschen. Doch ein Verbot löse das Problem an der Wurzel und «schiebt der sonst unausweichlichen Verbreitung von Nikab und Burka einen Riegel vor», schreibt er auf seiner Website.

Ausnahmen im Gegenvorschlag

Wenig begeistert von der Idee, ein solches Verbot in die Verfassung aufzunehmen, war der Tessiner Staatsrat. Wohl in der Annahme, dass eine Mehrheit der Tessiner das Verbot prinzipiell begrüsst, stellte er der Verfassungsinitiative einen Gegenvorschlag im Sinn einer Änderung des Gesetzes über die öffentliche Ordnung gegenüber. Laut dieser Vorlage wäre die Gesichtsbedeckung in der Öffentlichkeit untersagt, auch bei Demonstrationen und Sportanlässen, aber es werden Ausnahmen definiert: etwa Helme für Motorradfahrer, Staubfilter für Arbeiter oder Karnevalsmasken.

Der Grosse Rat machte sich diese Version mehrheitlich zu eigen. Warnende Stimmen, wonach die Isolation von verschleierten Frauen verstärkt werde, wenn sie sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen könnten, gingen in der Parlamentsdebatte vom April unter. Da die Volksinitiative nicht zurückgezogen wurde, entscheiden die Stimmberechtigten am 22. September über Initiative und Gegenvorschlag. Falls bei einem doppelten Ja die Verfassungsinitiative in der Eventualfrage mehr Stimmen erhält, muss der neue Artikel noch von der Bundesversammlung genehmigt werden.

Tourismusbranche ist gelassen

«Das Tessiner Gesetz ist praktisch eine Fotokopie des französischen Gesetzes», sagt Guido Corti, Rechtsberater des Staatsrats. Er verweist zugleich darauf, dass das französische Gesetz noch von der grossen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beurteilt werden muss.

Im Tessin schlägt die anstehende Abstimmung bisher kaum Wellen. Auch nicht in der Tourismusbranche, für die sich wegen der – nicht sehr verbreiteten – arabischen Klientel möglicherweise Nachteile ergeben könnten. Im Edelhotel Splendide Royal von Lugano, das eine ganze Etage für die Erfordernisse von arabischen Gästen umgebaut hat, gibt man sich auf Anfrage gelassen: «Es wird für uns keine Probleme schaffen.» Und Fernando Brunner, Präsident von Hotelleriesuisse Ticino, meint: «Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass sich die Gäste dem Gastland anpassen müssen.»

< b>Bisher keine Chance

Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri gehört dem Initiativkomitee an, leitet aber auch das städtische Tourismusamt von Lugano. Schwierigkeiten sieht er nicht. Der Verfassungsartikel beziehungsweise das Gesetz ziele nicht auf Touristen. Doch wie erkennt die Polizei, ob eine verschleierte Frau eine Touristin oder eine Einheimische ist? «Das sieht man doch, oder man muss nach dem Ausweis fragen», so Quadri.

Bislang hatten Burka- oder Kopftuchverbote in den Kantonen keine Chance. So wurden in den Kantonsparlamenten Basel-Stadt, Bern, Schwyz, Solothurn und Freiburg solche Verbote abgelehnt. Eine Standesinitiative des Kantons Aargau, das Tragen von gesichtsverhüllenden Kleidungsstücken schweizweit zu verbieten, scheiterte im eidgenössischen Parlament genauso wie diverse Einzelvorstösse. Das Tessiner Votum könnte daher Geschichte schreiben. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 29.07.2013, 07:10 U hr

 

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